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PORTAL
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Foto: Michael Heinrich
Kulturerbe
In den vergangenen Jahren ist viel gebaut worden in
München und im Umland. Leider findet nicht immer der
interessanteste Entwurf Anklang bei den Projektentwicklern
oder den Wettbewerbjurys, sondern oft eher angepasste
Projekte, die sich von der Fassade her nicht besonders
voneinander abheben. Hin- und herspringende Fenster
bestimmen Großteile der Bahntrassenbebauung entlang
des Arnulfparks, einige Gebäude in Riem und auch an der
Leopoldstraße entdeckt man das, was die Besucher unse-
rer schönen Stadt schon die „Münchner Fassade“ nennen.
Einige Architekten schaffen es jedoch, auf unser Kulturerbe
einzugehen, das bayerische Handwerk hochzuhalten und
mit nachhaltigen Materialien vorsichtig in der urbanen
Substanz zu agieren. Hild und K zum Beispiel sanierten
Altbauten und werteten die Fassaden gleichzeitig optisch
auf. So belebt die Fassade der Technischen Universität
München den Stadtraum, indem die Fassadenpfeiler drei-
dimensional geschwungen spielerisch in den Straßenraum
ragen.
Tiefenpsychologische Selbsterforschung
Andreas Meck – Träger des Architekturpreises der Stadt
München – zeigt an vielen Bauwerken, dass man auch
als bayerischer Architekt zeitgenössisch und gleich-
zeitig der Tradition verbunden planen und bauen kann.
Er wagte sich sogar an das Privathaus des bekannten
Münchener Architekturkritikers Gerhard Matzig, der zu
seinem Selbstversuch als Bauherr Folgendes sagt: „Ein
Haus zu bauen war eines der intensivsten Erlebnisse
meines Lebens. Die Frage, in welchen Räumen ich leben
möchte, hat eine höchst interessante, tiefenpsychologische
Selbsterforschung zur Folge. Ich weiß nicht, ob ‚befreiend‘
das richtige Wort ist, aber herauszufinden, wie man leben
will, gibt einem wahnsinnig viel Kraft. Die braucht man dann
übrigens auch, um während des Hausbauens Architekten
und Handwerker zu überleben.“ Peter Haimerl zeigt exem-
plarisch neben vielen seiner experimentellen Entwürfe und
Bauten an einem von Euroboden gekauften Bauernhof, wie
gewagt und zugleich nachhaltig bayerisches Kulturerbe
in die gestalterische Gegenwart gebracht werden kann.
Ein Konzept für ein Klima-Wohn-Hochhaus mit intensiver
Fassadenbegrünung wird von Gisbert Glass und seinen
Partnern sowie dem Architekturbüro Aika Schluchtmann an
der Arabellastraße entwickelt. Die Konstruktion besteht aus
geschosshohen Klettergerüsten und Kletterpflanzen über
alle Obergeschosse sowie einer intensiven Begrünung der
Dachterrassen mit Pflanztrögen. Unter wissenschaftlichen
Aspekten geht es zum einen um die Machbarkeit einer
solchen Fassadenbegrünung in gemäßigten Klimazonen,
zum anderen um die Ökobilanz eines solchen Gebäudes
im Hinblick auf Bauteilkühlung, Energieverbrauch und
Mikroklima. Im Hinblick darauf, dass in München im
Vergleich zu anderen deutschen Metropolen verhältnismä-
ßig viele Singles leben und auch daher mehr Wohnraum
benötigt wird als in anderen Städten, ist zudem das
Thema der Micro-Apartments aktuell sowie anderer auf
Alleinlebende oder Ältere zugeschnittene Wohnformen.
Zukunftsaussichten
Und nun? Zukünftig werden wir als Architekten in München
weiterhin jeden Zentimeter im Interesse unseres Bauherrn
ausnutzen. Im öffentlichen Bereich haben wir jedoch mit
etwas mehr Platz äußerst brisante Themen zu bewerk-
stelligen, die das Bild Münchens in der nahen Zukunft
bestimmen werden: Das sind der neue Konzertsaal auf
dem Pfanni-Gelände, das angedachte Isarflussbad, die
generelle Aufwertung des Isarufers mit der Neuplanung
der Praterinsel sowie die Kulturmeile, die alle Museen und
die Hochschulen Münchens mit einer Parkanlage verbin-
den soll. Und trotz der extremen Grundstückspreise kämpft
auch die Architekturfakultät der Hochschule München um
den Verbleib in ihrem denkmalgeschützten Gebäude an
der innerstädtischen Karlstraße. Unterstützen Sie doch die
Petition auf
www.architekturschule-karlstrasse.de.
Foto: Ruth Berktold
Autorin: Prof. Ruth Berktold
geboren 1967 in Kaufbeuren, DE
Ruth Berktold ist eine echte Bayerin. Sie stammt aus dem Allgäu, verließ
ihre Heimat aber zum Studium der Architektur an der Universität Stuttgart
und der Städelschule Frankfurt. Später ging sie nach New York, um an
der Columbia University den Master of Science in Advanced Architectural
Design zu absolvieren. Anschließend arbeitete sie acht Jahre bei verschie-
denen Architekturbüros in New York, unter anderem bei Bernard Tschumi
und Asymptote. 2002 kehrte sie schließlich nach Bayern zurück. In München
machte sie sich selbstständig und gründete das Büro yes architecture.
MUC-NYC. Ruth Berktold lehrte am Rensselaer Polytechnic Institute sowie
an der Parsons School of Design, beide in New York. Seit April 2003 ist sie
als Professorin für CAX und Entwerfen an der Hochschule für angewandte
Wissenschaften München tätig.
www.yes-architecture.com