Background Image
Previous Page  14 / 52 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 14 / 52 Next Page
Page Background

14 AKADEMISCH: WOHNEN IM STUDENTENWOHNHEIM IN ULM

Das Studentenwohnheim „Upper West

Side“ steht schwarz-schimmernd und

selbstbewusst in der ersten Reihe der

Hochschul-Akropolis auf dem Ulmer

Eselsberg. bogevischs buero vollendeten

nun den letzten Bauabschnitt der präzise

geschnittenen Beton-Monolithen.

Die „Wissenschaftsstadt Ulm“ – so der selbstgewählte Name

– wächst und gedeiht. Jeder, der versucht, sie im Auto zu

durchqueren, darf dies erleben, denn der Hügel über der alten

Freien Reichsstadt ist eine einzige Baustelle. Vor gerade ein-

mal einem halben Jahrhundert als kleine Reform-Universität

gegründet, ist sie nun zu einer veritablen Hochschule heran-

gewachsen – und nun wohnen die Studenten sogar direkt am

Campus. Die Münchner Architekten aus „bogevischs buero“

realisierten das Wohnheim des Studentenwerks seit 2010

in mehreren Bauabschnitten und in einem architektonisch

höchst prominenten Umfeld. Mit dem jüngsten Bauabschnitt

ist das Ensemble „Upper West Side“ nun komplett.

Neue städtebauliche Hierarchie

Und die bauliche Nachbarschaft ist durchaus namhaft. Auf der

einen Seite grenzt es an Richard Meiers Forschungszentrum

für Daimler, an der anderen an Otto Steidles vorbildhafte

Universität West – und zu beiden bildet das Wohnheim den

denkbar größten Kontrast. Es lehnt sich weder an Meiers

weiße Neomoderne an, noch an Steidles farbig-verspielten

1990er-Jahre-Bau. Es steht stattdessen überaus selbstbe-

wusst an der Kante des sogenannten Eselsberges – und

macht der eigentlichen Universität damit den prominenten

Platz in der städtebaulich ersten Reihe streitig. Nur der

berühmte Turm-Ausguck des Steidleschen Hochschul-

Riegels ragt nun noch – mehr oder weniger – über das

Studentenwohnheim hinaus. Die Wissensakropolis hoch

über Ulm hat damit eine neue städtebauliche Hierarchie. Die

schwarzgrau schimmernden Kuben von bogevischs buero sit-

zen auf dem Hügel, als wären sie die späten Abkömmlinge des

rätselhaften außerirdischen Monolithen in Arthur C. Clarkes

Science-Fiction-Roman „2001 – Odyssee im Weltraum“.

Dunkel durchgefärbte und hinterlüftete Glasbetontafeln

verkleiden eine massive Stahlbetonkonstruktion. Und zusam-

men mit den hohen, in gelbgrünem Alu-Blech gefassten

Fensterausschnitten lassen sie eine Architektur entstehen, die

man als kühl und glatt bezeichnen könnte – oder auch als wis-

senschaftlich exakt. Durchaus passend, denn der Retorten-Uni

in der „Wissenschaftsstadt“ fehlt jeder geisteswissenschaft-

liche Hintergrund. Wissenschaft bedeutet hier: Medizin und

Physik, Mathematik und Elektrotechnik.

Zur Freude Max Bills

Wenn Rhythmus tatsächlich schwingende Geometrie ist, dann

rhythmisieren die Fensterausschnitte das Studentenwohnheim

in mathematisch exakter Weise. Präzise zugeschnittene und

eingefügte Gitterroste verkleiden die Nebeneingänge, und

auch in der Tiefgarage leisten sich die Architekten keine

Nachlässigkeiten. Die Holzwolle-Leichtbauplatten verkleiden

die Decke ebenso sauber wie die mineralischen Tafeln die

Wände. Ein studentisch enges Baubudget und gute Details

sind also kein Widerspruch. Ganz in der Tradition der legen-

dären Ulmer Hochschule für Gestaltung bewegten sich die

Studenten der Designhochschule Schwäbisch Gmünd, als

sie das Interieur der neuen Studentenbuden entwarfen. So

nüchtern und klar, dass Max Bill seine Freude daran gehabt

hätte, und so raumoptimiert ausgestattet wie die Kabine in

einem Kreuzfahrtschiff. Während die Architektur sich jeder

allzu menschlichen Gestik entsagt, wirkt das Innere durch-

aus emotionaler und bedient sich verschiedener Farben und

Materialien. Am deutlichsten wird dies in der Kinderkrippe,

die erst vor Kurzem fertiggestellt wurde. Wer als angehender

Ingenieur oder Zahnarzt hier wohnen darf, der hat sicher das

große Los gezogen und sich aus dem unsäglichen Hauen und

Stechen um den knappen und auch noch billigen studenti-

schen Wohnraum verabschiedet. Das urbane Leben Ulms ist

zugegebenermaßen einige Straßenbahn-Haltestellen weit

entfernt. Doch der grandiose Blick vom Eselsberg weit hinein

in die schwäbischen Lande entschädigt dafür.

Die gelbgrün eloxierten Fensterlaibungen rhythmisieren das Gebäude.