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Foto: Iwan Baan
ZUM THEMA: KULTUR
AMBITIONIERT
ARCHITEKTUR ADELT TRIVIALKULTUR
von Falk Jaeger
Kultur ist ein weit gefächerter Begriff.
Sogar der Sport, insbesondere der Fußball,
zählt mittlerweile dazu. Dass aufsehenerre-
gende Kulturbauten deshalb nicht per se an
Hochkultur gebunden sind, erläutert Prof.
Dr.-Ing. Falk Jaeger in seiner Analyse aktu-
eller und prägender Architekturen.
Die Kommunikation natürlich, aber auch das Einkaufen,
das Organisieren des Lebens und die Unterhaltung spielen
sich zusehends im virtuellen Raum ab. Und manch einer hat
gedacht, auch die kulturellen Aktivitäten würden sich bald
ganz ins Internet verlagern. Aber der Mensch hat nach wie vor
das Bedürfnis nach persönlichem Austausch von Angesicht
zu Angesicht und nach Erlebnissen an Orten und in Räumen
mit allen Sinnen. So ist es vor allem die Kultur in ihren ver-
schiedensten Ausprägungen, die im realen Leben eine immer
wichtigere Rolle spielt.
Attraktiv und spektakulär
Da der Kultursektor eher die Freizeit als die Arbeitswelt betrifft,
also im Unterschied zum Berufsleben die freiwillige, eigen-
ständige Lebensgestaltung, sind die erfolgreichsten Orte und
Angebote jene, die Menschen anziehen, die attraktiv und spek-
takulär sind. Und sie sind am erfolgreichsten, wenn Inhalt und
Architektur gleichermaßen faszinieren. Das Centre Pompidou
in Paris ist ein Paradebeispiel dafür. Man spricht heute von
signature architecture, wenn schon die Bilder eines Bauwerks
so eindrücklich sind, dass man sie, einmal gesehen, nicht
mehr vergisst. Welche Bedeutung herausragende Architektur
für die Kultur heute haben kann, lässt sich anhand zahlreicher
Institutionen belegen, die in strahlende neue Häuser gezogen
sind und ihre Besucherzahlen erheblich steigern konnten. Die
Tate Modern in London zum Beispiel ist durch den erstaunli-
chen Umbau des Kraftwerks an der Themse durch die Basler
Architekten Herzog und de Meuron in das Blickfeld einer
weltweiten Öffentlichkeit gerückt. Auch der Neubau des
Guggenheim Museums Bilbao durch den amerikanischen
Stararchitekten Frank O. Gehry hat die baskische Stadt 1997
erst auf die Landkarte des kulturinteressierten Publikums
gerückt und der Stadt einen solchen Aufschwung gebracht,
dass man seither vom „Bilbao-Effekt“ spricht. Wenn also eine
Stadt versucht, durch ein emblematisches Bauwerk seine
Stadtentwicklung zu befördern, spekuliert sie auf den Bilbao-
Effekt. Etwa durch das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund,
das durch den Neubau des Ozeaneums mit 1,2 Millionen
Besuchern auf den dritten Platz der Besucherstatistik vorrü-
cken konnte, wodurch auch die Hansestadt in erheblichem
Maß von diesem Effekt profitiert. Denn das von Behnisch
Architekten errichtete Ozeaneum bietet dieses besondere
Maß an Spektakel. Es hat eine signifikante, extravagante Form
mit Wiedererkennungseffekt, liegt malerisch am Hafen und
bietet eine äußerst populäre Ausstellung.
Erfolg der Bibliotheken
Überraschend angesichts der Allgegenwart des Wissens
speichers Internet ist der Erfolg neuer Universitäts-, Stadt-
und Landesbibliotheken. Stuttgarts neue Stadtbibliothek, die
Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden
und die Bibliothek der Humboldt-Universität in Berlin, das
Jakob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, können mit großartigen
Architekturerlebnissen aufwarten. Allen Büchereien jedoch
ist gemeinsam: Sie sind hervorragend frequentiert, oft sogar
überlaufen. Die Tatsache, dass viele junge Menschen nur
noch im Internet agieren, sich informieren, forschen, publizie-
ren, scheint dem keinen Abbruch zu tun. Sie suchen dennoch
den Kontakt zu Kommilitonen, nutzen die Arbeitsplätze und die
Infrastruktur der Bibliothek und verbringen dort viel Zeit des
Tages. Die Bibliothek wird zur urbanen Institution.
Das veränderte Nutzungsverhalten ist kein deutsches
Phänomen. Seattle mit der Public Library von Rem Koolhaas,
Birmingham mit der neuen städtischen Bibliothek von
Mecanoo oder Århus mit Skandinaviens größter Bibliothek
Dokk1 von Schmidt Hammer Lassen haben Aufsehen erregen-
de Neubauten erhalten, die allesamt nicht nur Bücherspeicher
mit Lesesälen sind, sondern Stadtteilzentren mit allerlei
Nebennutzungen, mit Restaurants und Studios, mit diversen