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Foto: Christian Richters
hochstilisiert. Dabei verfügt das neu gegründete Museum
über keine gewachsene Sammlung und kaum über originale
Objekte. Und Gerd Müllers WM-Schuh von 1972 und jener von
Mario Götze 2014 sind eben auch nur simple Sportschuhe. So
ist es ein unkonventioneller Typus Museum, denn an diesem
„zentralen Erinnerungsort“ wird Fußball vor allem mit inszena-
torischen Mitteln imaginiert. Die Szenografie von den renom-
mierten Berliner Ausstellungsgestaltern Triad nimmt infolge-
dessen einen hohen Stellenwert ein. Das DFB-Museum ist ein
Haus der Emotionen mit Unterhaltungs- und Eventcharakter
und weniger der Präsentation von Deutschlands bedeu-
tendster Sportart als Aspekt der Kulturgeschichte. Fußball
als Amateursport und als sozialpolitisches und gesamtgesell-
schaftliches Phänomen wird nicht thematisiert. Im ersten Jahr
wurden 200.000 Besucher gezählt, zumeist wohl Fußballfans,
von denen man vermuten kann, dass viele von ihnen sonst sel-
ten den Weg in ein Museum finden.
Artenvielfalt
Den Spitzenplatz in der Besucherstatistik nimmt übrigens
mittlerweile ein anderes nicht der Hochkultur zuzurech-
nendes „Museum“ ein: Das Modellbahnmuseum Miniatur
Wunderland in der Hamburger Speicherstadt begrüßte
im Jahr 2016 1,3 Millionen Besucher und dürfte damit das
bislang führende Residenzschloss in Dresden erstmals
überflügelt haben. Einen Steinwurf weiter ist die Hamburger
Elbphilharmonie Beweis dafür, dass man einen eigentlich
elitären Konzertsaalbau durch periphere Nutzungen und
Einbindung in ein Quartierskonzept zur populären Attraktion
machen kann, denn nur ein Bruchteil der täglichen Besucher
kommt, um tatsächlich in einem der beiden Säle ein Konzert
zu erleben. Aber alle werden sie das Gefühl haben, einen
weltberühmten Kulturtempel besucht zu haben. Ebenfalls in
Hamburg ist die Reeperbahn nicht gerade als Kulturstandort
bekannt, sieht man vom eher boulevardesken Schmidt Theater
ab. Neben dem 2006 gebauten Schmidt steht seit Kurzem das
Klubhaus St. Pauli, keineswegs das Vereinsheim des gleich-
namigen Fußballklubs, sondern ein Ort, an dem verschie-
dene Unterhaltungsetablissements Platz gefunden haben,
darunter das Schmidtchen, eine weitere Bühne des Schmidt
Theaters. Ziel der Investoren war, eingesessenen Klubs und
Eventveranstaltern günstige Mieten anbieten zu können und
eine gewisse „Artenvielfalt“ zu erreichen. Kiezkultur im besten
Sinne also und ein weiterer Schritt der Reeperbahn weg vom
Schmuddelimage der „sündigen Seemannsmeile“ hin zum
vielfältigen Vergnügungsviertel für eine breite Klientel. Um das
Klubhaus mit dem Nachtleben der Reeperbahn zu verknüpfen,
erhielt das Haus eine Aufsehen heischende Medienfassade.
Den eigens ausgeschriebenen Wettbewerb dafür konnten
die Architekten des Hauses akyol kamps : bbp architek-
ten gemeinsam mit UrbanScreen für sich entscheiden. Ein
Glücksfall, weil sie natürlich bestrebt waren, eine Symbiose
ihrer Architektur und der LED-Videoinstallation zu entwickeln.
„Mediatektur“ nennen sie das Ergebnis, eine komplexe, diffe-
renzierte Raumschicht, die dem Gebäude ein ganz ungewöhn-
liches und werbewirksames Gepräge verleiht. Es bleibt aber
die Frage, ob der Betreiber die Fassade im vorgesehenen Sinn
auf Dauer kuratorisch bespielen lässt und ob es wie anfangs
bei Werbung, Selbstdarstellung des Klubhauses und licht-
künstlerischen Programmen zu gleichen Teilen bleibt.
Ambitionierte Kulturhäuser
Wer in Deutschland Interesse an der Einweihung neuer
Kulturtempel hat, für den lohnt sich fast die Bahncard
100. Pierre Boulez Saal von Frank Gehry in Berlin, Palais
Barberini Potsdam, Musikforum Halle, Hansemuseum
Lübeck, Staatsoperette Dresden, Museen in Braunschweig,
Freiburg, Penzberg, demnächst Stadtbibliothek Heidenheim,
Philharmonie Kulturpalast Dresden – dies ist nur eine unvoll-
ständige Aufzählung der innerhalb eines Jahres eröffneten,
meist auch architektonisch ambitionierten Kulturhäuser. Und
es sind nur die Häuser der Hochkultur, die sich des größe-
ren Presseechos in den Leitmedien erfreuen. Denn nicht zu
vergessen sind die zahlreichen privaten, bürgerschaftlichen
oder kommerziellen Bauaktivitäten im weiten Feld zwischen
Hochkultur und Kommerz, die man früher als „Trivialkultur“
abtat und die doch die Erweiterung unseres Kulturbegriffs
repräsentieren.
Foto: Fotostudio Geyer
Autor: Prof. Dr.-Ing. Falk Jaeger
geboren 1950 in Ottweiler/Saarland, DE
studierte Architektur und Kunstgeschichte in Braunschweig, Stuttgart
und Tübingen. Seit 1976 arbeitet er als freier Architekturkritiker für die
Tages- und Fachpresse des In- und Auslands sowie für Hörfunk und
Fernsehen. Von 1983 an war er an Hochschulen präsent: zunächst
als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Architektur- und
Stadtgeschichte der TU Berlin, dann mit Lehrauftrag für Architekturkritik
an der TU Braunschweig. 1993 promovierte ihn die TU Hannover mit einer
Dissertation über das Dominikanerkloster in Esslingen. Ab 1993 lehrte er
zunächst als Hochschuldozent, später als außerplanmäßiger Professor
für Architekturtheorie und Architekturkritik an der TU Dresden. Zudem
war Falk Jaeger von 2001 bis 2002 Chefredakteur der „bauzeitung“. Seit
2002 ist er mit Sitz in Berlin als Publizist, Kritiker, Kurator und Juror tätig
mit Lehraufträgen an verschiedenen Hochschulen. Er ist Kolumnist der
Zeitschrift „wettbewerbe aktuell“ und des Internetportals „momentum“.
Seit 2007 ist er Herausgeber und größtenteils Autor der im Berliner Jovis
Verlag erscheinenden monografischen Buchreihe Jovis Portfolio, in der
herausragende Architekten porträtiert werden.