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14 HOCHKULTUR: ELBPHILHARMONIE IN HAMBURG

Nahezu alles wurde zur Hamburger Elb­

philharmonie schon gesagt und geschrie-

ben. Controller und Architekturkritiker

haben ihr durchaus gegensätzliches

Urteil gefällt, und über die Bedeutung des

Baukunstwerks von Herzog & de Meuron

wird letztlich die Geschichte entscheiden.

Nun jedoch sind die Bürger gefragt.

Nachverhandlungen, Baustopps und Kostenexplosionen

– seit dem 11. Januar ist alles vergeben und vergessen.

Denn ein Projekt ist vollendet, das von Anbeginn an nichts

weniger sein wollte als absolute Weltklasse. Die Akustik?

Die beste des Erdballs. Die Architektur? Hamburgs neues

Wahrzeichen. Die städtebauliche Wirkung? Auf dem Niveau

von Joern Utzons Oper von Sydney. Hamburg hoffte auf

den Bilbao-Effekt spektakulärer Architektur und baute für

866 Millionen Euro laut Handelsblatt eines der teuersten

Gebäude der Welt. Und die Hoffnungen scheinen sich zu

erfüllen. Auch Wochen nach der Eröffnung bilden sich lange

Schlangen vor dem Haupteingang.

Besucheransturm

Eine ältere Hamburger Dame steht tapfer zwischen

süddeutsch-schwäbelnden Touristengruppen und war-

tet darauf, eine kostenlose Zugangskarte für die „Tube“

genannte Rolltreppe zu bekommen. Denn die Plaza zwischen

historischem „Kaispeicher A“ in den unteren Geschossen

und den darüber liegenden Konzertsälen muss regelrecht

bewirtschaftet werden. Der Besucheransturm würde sonst

im Chaos enden. Während der minutenlangen Fahrt durch

den gekrümmten Tunnel nach oben berichtet sie, dass sie

tagtäglich hierher kommt. Sie ist so stolz auf dieses Gebäude.

Sie genießt die weltweite Bewunderung, die Hamburg

neuerdings entgegenschlägt. Und die enormen Kosten?

Die Rentnerin erzählt von ihrem Besuch im Petersdom in

Rom. Sie sagt: „Da fragt doch auch keiner mehr, was der

mal gekostet hat“, und beendet damit selbstbewusst jede

weitere Debatte. Die Erwiderung, dass dieses vatikani-

sche Signature-Building mit seinen Kosten immerhin einer

der Anlässe für Reformation und folgende Religionskriege

war, geht sofort im Getöse des Windes unter, der über die

Freifläche fegt. Ausnahme-Architektur siegt offenbar immer

– und die alte Dame genießt die Wirkung von spektakulären

Konstruktionen und neuartigen Detaillösungen, die an dieser

Stelle nicht einmal ansatzweise aufgezählt werden könnten.

Zugegeben – eine solche Terrasse in 37 Metern Höhe erzählt

mehr über die Stadt und ihren Hafen als jede Rundfahrt im

Panoramabus. Die fast körperlich zu erlebende Wirkung des

Bauwerks erklärt, weshalb die Hanseaten dieses Projekt

so verbissen verfolgt haben und darauf verzichteten, die

Architektur einem betriebswirtschaftlichen Kahlschlag aus-

zusetzen. Und im selben Moment wird klar, weshalb das kul-

turell eigentlich höchst elitäre Bauwerk einer Philharmonie

regelrecht massentauglich ist.

Identifikation

Die freundliche Hamburgerin kennt den hochgelobten

Großen Saal in den Geschossen über ihr mit den weinber-

gartig angelegten Publikumsrängen nur von einer Führung.

Auch die Akustik als Resultat von 10.000 individuell gefräs-

ten Platten ist ihr egal, denn weder ihr Hörgerät noch ihr

Musikgeschmack benötigen sie. In einem der 250 Zimmer

des Luxushotels wird sie nie als Gast absteigen, und von

den Wohnungen in der Philharmonie kann sie nicht einmal

träumen. Vielleicht wird sie wenigstens im Kaispeicher

unter ihr hin und wieder zu Besuch sein. Denn hier gibt

es außer Funktionsräumen und Parkhausetagen auch

noch den „Musikvermittlungsbereich“ für Besucher aller

Altersgruppen. Dass mit der Elbphilharmonie ein Stück

Weltarchitektur entstand, steht außer Frage. Dass sie mit

ihren originären kulturellen Funktionen nur einen geringen

Teil der Öffentlichkeit erreicht, ist ebenso unstrittig. Und doch

funktioniert sie als Identifikationsobjekt der Stadt im Sinne

eines Beispiels von Populärkultur, weil sie den Bürgerstolz

der Hamburger ganz offensichtlich dauerhafter bedient, als

es ein Champions-League-Sieg des HSV jemals könnte.

Von der Plaza aus verteilen sich die Besucher in den Großen und den Kleinen Saal. Über die geschwungene Fassade erreichen sie die Terrasse.