30
Dynamisch zieht sich der Dachrand auf den Boden des Dachgeschosses.
JUNG: WOHNEN IN DER JUGENDHERBERGE IN BAYREUTH
Mit der neuen Bayreuther Jugendherberge
lüftete das Laboratory for Visionary
Architecture die mehr als hundert Jahre
alte Herbergsidee ordentlich aus. Denn die
neue Architektur macht sie als internatio-
nale Begegnungsstätte junger Menschen
wieder fit für die nächsten 100 Jahre.
Die klassische „Jugendherberge“ ist ein deutscher „hid-
den champion“ in der internationalen Hotellerie. Denn was
weltweit als Youth Hostel inzwischen tausende Ableger
hat, das erfand 1909 Richard Schirrmann, ein deutscher
Realschullehrer und Förderer der „Jugendbewegung“.
Mit der Klampfe in der Hand und einem Volkslied auf den
Lippen suchten die sogenannten „Wandervögel“ den Weg
aus industrialisierter, urbaner Ödnis zurück in die unverdor-
bene Natur – und brauchten dabei eben gelegentlich auch
günstige Übernachtungsgelegenheiten. Lange prägte dieses
Jahrhundertwende-Erbe auch Image und Erscheinungsbild
vieler Jugendherbergen in Deutschland. Und zu oft wird dort
fälschlicherweise noch der diskrete Charme der 1920er-Jah-
re vermutet. Das wachsende Imageproblem hatte Gründe
in erfolgreicher Konkurrenz: Denn billigere und oft schi-
ckere „Hostel“–Anbieter haben Hochkonjunktur. Mit dem
Workshop „Jugendherberge 2015“ wurde darauf reagiert –
und die Architekten von LAVA setzten in Bayreuth erstmals
alle Forderungen der Neukonzeption um.
Gemeinschaftliches Erleben
Inhaltlich blieben die Wurzeln erkennbar. Denn weiterhin
müsse „Gemeinschaft erlebt“ werden können. Doch nun soll
dies – sehr zeitgemäß – in „ganzheitlicher Nachhaltigkeit“
geschehen. Ein hoher zentraler Raum mit vielen Durch
blicken und ungewöhnlicher Gestaltung soll die Gäste stets
„staunen“ lassen. Die architektonische Forderung nach
authentischer Materialität wurde griffig in die Formel „hart
aber herzlich“ übersetzt. Und weil die Bewohner gele-
gentlich recht grob mit den Herbergen umgehen, wurde
die einfache und robuste russische Raumstation MIR zum
ideellen Vorbild genommen und nicht – so LAVA – das eher
empfindliche Hightech-Pendant der ISS. Für den Bayreuther
Neubau wurde ein y-förmiger Grundriss gewählt, bei dem
sich der lange und die beiden kürzeren Flügel in einem
durchaus spektakulär über mehrere Geschosse reichenden
Zentralraum treffen, der nun alle Funktionszonen beherbergt.
Die geforderte „erlebte Gemeinschaft“ ergibt sich dort fast
von alleine. Und für das erhoffte Staunen unter den Gästen
sorgten die Architekten aus dem „Laboratory for Visionary
Architecture“ (denn genau dies bedeutet die Abkürzung
LAVA) mit ihrer bekannten CAD-geprägten Entwurfshaltung
aus komplexen fließenden Formen. Weil aber – siehe oben
– die eher grob konstruierte russische MIR Pate stehen
sollte, verkamen die eleganten Fassadenschwünge nicht
zum formalistischen Selbstzweck. Sie erschließen statt-
dessen das Haus über mehrere schiefe Ebenen hinweg,
ergeben ganz nebenbei so manche barrierefreie Rampe,
verknüpfen innen mit außen und vermeiden eine langweilige
Aneinanderreihung der 45 Zimmer.
Zukunftstaugliche Jugendherberge
„Hart aber herzlich“ ist eindeutig der Innenausbau.
Einfache, aber authentische Werkstoffe sind auf inno-
vative Weise detailliert – ohne deshalb zu komplex und
empfindlich für die Nutzung durch Jugendgruppen zu
werden. Drehbare Betten machen die Räume flexi-
bel. Robuste Materialien werden zu realitätstauglichen
„Nutzeroberflächen“. Bayreuth ist nicht Berlin. Trotzdem
kann es die neue Jugendherberge in Oberfranken
mit jedem schicken Weltstadt-Hostel aufnehmen
und ist ein Symbol des gelungenen Neuanfangs der
Jugendherbergsbewegung. Das LAVA-Konzept vertreibt
den Mief von mehr als hundert Jahren „JuHe“ aus den
Schlafsälen und lüftet Richard Schirrmanns Herbergsidee
ordentlich aus. Und dabei zeigt sich: Das Konzept hat nicht
nur eine große Vergangenheit. Dank neuer Architektur ist
es als internationale Begegnungsstätte junger Menschen
wieder zukunftstauglich.