22 KULTURELL: WOHNEN IM KUNSTCAMPUS IN BERLIN
Ein prominenter Bauplatz, eine kristal-
line Fassade und ein anspruchsvolles
Vermarktungskonzept: Der KunstCampus
in Berlins Europacity vereint hochwer-
tigen Wohnungsbau mit ambitionierten
Kunstgalerien und spricht ein großstädti-
sches Publikum an.
„Lage, Lage, Lage“ – so definierte der Hotelier Conrad
N. Hilton einst den Wert einer Immobilie. Und wenn dies
immer noch so ist, dann befindet sich der neue Wohnkomplex
am KunstCampus von léonwohlhage Architekten tatsäch-
lich in einer 1A-Lage der Hauptstadt. Direkt hinter dem
„Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst“, drei
Fußminuten vom Hauptbahnhof entfernt und an der Kaimauer
des Berlin-Spandauer Schifffahrtskanals gelegen – so will er
ein großstädtisches Publikum ansprechen. Wer das sein soll?
Vermutlich jene Klientel, die außer „3-Zimmern-Küche-Bad“
vor allem ein kulturell anregendes Umfeld, eine ambitionierte
Architektur, perfekte Verkehrsanbindung, eine zentrale Lage
im Herzen Berlins schätzt – und daneben über das dazu pas-
sende Einkommen verfügt.
Bindeglied zwischen Wohnen und Hochkultur
Der KunstCampus ist Teil der Berliner Europacity, die von
ihren Investoren jedenfalls sogleich zur „neuen Mitte“ der
Hauptstadt erklärt wurde. Auf dem Gelände an der ehema-
ligen Mauer, das jahrelang als Niemandsland galt und von
Lagerhallen geprägt wurde, entsteht tatsächlich Berlins
derzeit bedeutendstes Stadtentwicklungsprojekt. Und der
KunstCampus soll aufgrund seiner Lage ein Bindeglied sein,
das zwischen der Hochkultur des Hamburger Bahnhofs
und den weiter nördlich gelegenen reinen Wohngebieten
vermittelt. Diese Zwittersituation äußert sich auch schon in
der Nutzung des siebengeschossigen Riegels. Denn im Erd
geschoss sind vorwiegend Räumlichkeiten für Kunstgalerien
untergebracht. Darüber liegen die Wohnungen – erreichbar
nur vorbei am Concierge im Erdgeschoss, der ein wachsames
Auge darauf hat, wer dieses exklusive Anwesen betritt. Die
Wohnungen selbst haben recht tiefe Grundrisse, eine innenlie-
gende Erschließung und verschaffen damit allen Bewohnern
großzügige Balkons mit entsprechend prominenten Aus
blicken. Die einen blicken direkt auf den Schifffahrtskanal
und weiter nach Osten, die anderen schauen auf den
Ausstellungstrakt des Museums, in dem die Kunstsammlung
des Industriellen Flick untergebracht ist, und weiter nach
Westen Richtung Charlottenburg.
Kristalline Struktur
Durch die Faltung der Fassaden vergrößerten die Architekten
auf raffinierte Weise die wertvolle Fensterfläche. Doch absolut
prägend sind die davor angeordneten trapezförmigen Balkone,
die das komplette Gebäude mit ihrer regelhaft unregelmäßi-
gen kristallinen Struktur umhüllen. Im Inneren garantieren sie
für das, was die Architekten „grüne Zimmer“ nennen. Durch
die Balkone mit ihren siebbedruckten Verglasungen erhält
das Gebäude seine facettierte Oberfläche. Sie reflektiert die
Umgebung und sorgt für eine ständig wechselnde Wirkung
der Fassade. Nach außen lassen sie den KunstCampus als
architektonischen Solitär wirken – angesichts der Lage direkt
hinter dem Museum für Gegenwartskunst ist dies angemes-
sen. Denn weiter hinten in der Europacity sollen auch öffent-
lich geförderte Wohnungen entstehen, und der gmp-Architekt
Hans-Joachim Paap bemerkte zu seinem im Wettbewerb
für dieses Areal siegreichen Entwurf: „Es ist kein Potpourri
der architektonischen Eitelkeiten.“ Eine gewisse Eitelkeit
ist beim KunstCampus dagegen durchaus gewollt. Denn die
prominente Lage, der Anspruch als Galeriegebäude und vor
allem die offensive Marketingkonzeption, den Wohnblock
selbst als Teil einer Kunstszene darzustellen, sind ja auch eine
Verpflichtung. So gesehen wirkt der während des Ortsbesuchs
von einem Hausbewohner auf einem der Balkons aufgestellte
Wäscheständer mit trocknenden Unterhosen und Socken
besonders auffällig. Ist es eine künstlerische Intervention zur
bewussten Brechung des architektonischen Anspruchs? Oder
ist es doch nur ein Stück reales Leben in einer ambitionierten
Architektur?
Der Blick vom benachbarten Haus über die Rieck-Hallen des Kunstmuseums Hamburger Bahnhof zeigt den KunstCampus in voller Pracht.