30 KINDERHORT: KINDERTAGESSTÄTTE DER BAYER AG IN LEVERKUSEN
Der Wert des sogenannten „kindgerechten
Bauens“ wird offenbar eindeutig über-
schätzt. Die Kinder der „Bayer“-Mitarbeiter
jedenfalls machten sich ihre neue und
durchaus ungewöhnliche Betriebs-Kita
„Löwenburg“ in Leverkusen blitzschnell zu
eigen. Die Erzieherinnen benötigten dafür
schon ein klein wenig mehr Zeit.
Wer sich der Kindertagesstätte für die Bayer-Angestellten
nähert, der kann den direkten Vergleich ziehen. Zuerst
sieht der Besucher die Kita für die Kinder der Angestellten
von Lanxess – und sie verfolgt ganz klar den traditionellen
Weg: Bunt, recht kleinteilig strukturiert, und der jeweiligen
Kindergruppe wird eine eindeutig zuordenbare bauliche
Heimat geboten. Und: Sie kann schon aus weiter Entfernung
als Kindergarten dechiffriert werden. Gleich gegenüber steht
seit Kurzem der Neubau von tr.architekten für Bayer – und
könnte durchaus auch das internationale Schulungszentrum
für die promovierten Konzernchemiker sein. Die elegante
Ellipsengroßform mit weiß gekalkter Holzverkleidung sowie die
gewaltige Vorfahrt mit überdimensionalem Parkplatz für die
Geschäftswagen der leitenden Angestellten deuten ganz klar
darauf hin. Und die in der Sonne glänzende Edelstahlrutsche
dient dann vermutlich während der Konferenzpausen dem
interaktiven Team-Building unter den Bayer-Fachleuten.
Soft Skill: Kita
Im Inneren verstellt erwartungsgemäß ein Empfangstresen
den Weg durch die zweigeschossige Halle. Und im natürlichen
Licht der Deckenverglasung wird der giftgrüne Bodenbelag
von den strahlend weiß verputzten Wänden reflektiert. Würde
die Rezeptionistin nicht gerade laut aus Grimms Märchen
vorlesen, das Business-Bild wäre perfekt. Was so gar nicht
nach einer Kita aussehen will, ist lediglich die vorerst letzte
Entwicklungsstufe einer Bauaufgabe, die längst nicht mehr
nur Thema für öffentliche und kirchliche Träger ist. Für
Unternehmen mit Bedarf an qualifizierten Fachkräften gehört
die problemlose Unterbringung des Nachwuchses zu den
„Soft Skills“ bei der Anwerbung von Personal. Und weil der
Bedarf riesig ist, werden auch die Kitas immer größer. In
Leverkusen werden 125 Kinder in 8 Gruppen untergebracht.
Zumindest die Erzieherin kennt keine vergleichbar große
Einrichtung – und hatte zu Beginn schon etwas Mühe, sich
an die baulichen Dimensionen zu gewöhnen. Die Kinder der
Löwenburg kannten derlei Probleme nicht. Blitzschnell nah-
men sie alle 8 Gruppenräume, die 16 Nebenzimmer und die
vielen Funktionsräume in Beschlag. Und die nüchternen wei-
ßen Wände wurden zur willkommenen Basis für wechselnde
Dekorationen.
Modell der Zukunft
Betrieben wird der Kindergarten durch das DRK – und
tr.architekten entwickelten die Räume passend zu dessen
pädagogischem Konzept eines halboffenen Kindergartens. Zur
Erklärung: Der traditionelle Kindergarten hält Gruppenräume
bereit und gibt den Kindern damit eine eindeutige Heimat. Der
offene Kindergarten kennt dies nicht mehr und schickt die
Kinder von Funktionsraum zu Funktionsraum. Hier wird gebas-
telt, dort gemalt und drüben wird geschlafen. Das halboffene
Konzept ist folgerichtig ein Mittelding aus beidem. Der an der
Rezeption ausgehängte Orientierungsplan offenbart denn
auch ein Unterhaltungsprogramm in den Funktionsräumen,
das jeden Animateur des Club Méditerranée staunen lassen
würde. Für die Architekten bot sich die Chance, eine Kita im
Passivhausstandard zu realisieren. Die Stahlbetonkonstruktion
wurde durch hochwärmegedämmte, vorgefertigte
Fassadenelemente ergänzt. Der hohe Tageslichtanteil redu-
ziert den Energieverbrauch. Die Fußbodenheizung wird mit
Röhren-Sonnenkollektoren und Gas-Brennwerttechnik betrie-
ben. Und wenn gerade wieder Schichtende ist im benach-
barten „Bayer Chempark“, dann wird klar, wozu die riesige
Auffahrt nötig ist. Dutzende Kinder werden im Minutentakt von
den Eltern auf dem Nachhauseweg abgeholt – und scheinen
kein Problem damit zu haben, nicht in behütet kleinteiliger
Kindergartenarchitektur alter Schule groß zu werden – son-
dern in einer Kita, die offenbar das Modell der Zukunft ist.
Ob es bei den Kindern zuhause auch so ordentlich ist?