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Eine markante Freitreppe führt auf die Galerie.
KINDESWOHL: SOS-BOTSCHAFT FÜR KINDER IN BERLIN
Eine „Botschaft für Kinder“, in der kaum
Kinder zu sehen sind – dies ist ein
Paradoxon, das aufgelöst werden will.
Die Architekten Ludloff Ludloff errichteten
gleich hinter dem Berliner Hauptbahnhof
für die Organisation „SOS-Kinderdorf“ ein
höchst vielfältiges Gebäude mit absolut ein-
deutigen Absichten – die man ihm jedoch
nicht so ohne Weiteres ansieht.
Die SOS-Kinderdörfer zählen zu den wohl bekanntes-
ten Hilfsorganisationen. In Deutschland gibt es zwölf
SOS-Kinderdörfer, weltweit sind es 567 – und die spen-
denwilligen Deutschen sind mit ihren Patenschaften
deren Hauptfinanziers. Dass die „Botschaft für Kinder“
in Deutschland, in Berlin-Moabit und in der Nähe des
Regierungszentrums errichtet wurde, ist deshalb nur kon-
sequent. Denn sozialpolitische Lobbyarbeit für Kinderrechte
zählt hier zu den zentralen Aufgaben – neben der Fortbildung
eigener Mitarbeiter und der Beratung von Hilfesuchenden.
Vor allem widmet sich die Berliner Botschaft für Kinder
jedoch den „ehemaligen Kindern“. Denn die Erfahrung zeigt,
dass junge Erwachsene mit körperlichen oder geistigen
Beeinträchtigungen nach dem Auszug aus dem Kinderdorf
oft nur geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Die
Botschaft für Kinder bietet mit ihrem integrierten Betrieb
„Rossi“ Ausbildungs- und Arbeitsplätze im Eventmanagement,
in der Gastronomie und in der Hotellerie.
Heterogene Architektur
Die Mischung der Funktionen machte es den Architekten nicht
allzu leicht, dafür eine homogene Form zu finden. Sie versuch-
ten es auch gar nicht erst, sondern entschieden sich dafür,
die Heterogenität zum Thema zu machen. Das Bauwerk erhielt
im EG und im ersten OG eine vollständig verglaste Pfosten-
Riegel-Konstruktion – dahinter sind die öffentlichen Bereiche
zu sehen mit Empfang, Restaurant und Hotelküche sowie
den Tagungsräumen darüber. Alle anderen Ebenen haben
Fassaden in vorgefertigter Holztafelbauweise, hinter denen
Beratung, Verwaltung und die beiden Hotel-Etagen unterge-
bracht sind. Ein durchaus wörtlich zu nehmendes „Kleid“ aus
textilen Membranen verhüllt den Baukörper, reicht aber nicht
bis zum Erdgeschoss, sondern „umspielt“ den Rumpf des
Hauses und lässt sozusagen bewusst die Waden frei, damit
die Öffentlichkeit hier Einblick erhält. Wo es dagegen privater
zugehen soll, da bleibt es den Nutzern überlassen, wie viel
Offenheit sie bieten möchten. Die unten leicht ausgestellten
Verschattungselemente lassen sich individuell verschieben,
das öffentliche Bild der Botschaft bleibt niemals gleich.
Möbel aus „eigener Herstellung“
Materialwahl und Farben setzen im Inneren den erklärten
Willen zur Heterogenität fort. Ein edles Kongresscenter ist dies
nicht, dafür sieht es eindeutig zu sehr nach evangelischem
Gemeindezentrum aus. Die sozialpädagogische Atmosphäre
gewinnt aber auch nicht die Oberhand, denn die blitzende
Showküche hinter den großen Fensterfronten vermittelt schon
fast wieder den Eindruck eines Gourmet-Restaurants. Die
Hotelzimmer sind bewusst einfach, fast mönchisch gehal-
ten. Aber weil sie wiederum mit eigens entworfenem (und in
SOS-Werkstätten hergestelltem) Mobiliar komplettiert wer-
den, rücken sie schon wieder in die Kategorie der populären
„Designer“-Hotels vor.
Vielfältiger kultureller Kontext
Dieses ständige Changieren der Atmosphären ist keineswegs
Unentschlossenheit, sondern eindeutige entwerferische
Absicht. Ludloff Ludloff nennen es die Methodik des „sowohl
als auch“ und betten das Bauwerk damit ein in den min-
destens ebenso vielfältigen kulturellen Kontext eines lokal
verankerten, aber zugleich weltumspannenden Netzwerkes
aus Kinderdörfern und SOS-Fortbildungseinrichtungen. Und
wer sich dieser atmosphärischen Vielfalt hingeben will, dem
sei eine Übernachtung im integrierten Hotel Rossi empfohlen.
Das angenehme Gefühl, mit der Zimmerrechnung die Jobs der
„ehemaligen SOS-Kinder“ in einer ansonsten verschlossenen
Arbeitswelt zu sichern, gibt es gratis dazu.