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Temporäre Arbeitsplätze ersetzen Zellenbüros.
VERTRAUEN: MICROSOFT DEUTSCHLAND-ZENTRALE IN MÜNCHEN
Microsoft-Mitarbeiter entscheiden selbst,
wann sie arbeiten wollen – und vor allem,
wo. Dies wirkt sich auch auf die neue
Deutschland-Zentrale des Konzerns in
München aus. GSP-Architekten entwarfen
das passende Bürogebäude für komplett
selbstbestimmte Mitarbeiter und einen
Arbeitgeber, der das nötige Vertrauen in
sie hat. Denn die Angestellten kommen nur
noch ins Büro, wenn es wirklich nötig ist.
Ein Büro haben die Münchner Mitarbeiter zwar noch – doch
ob sie dort wirklich arbeiten wollen, das entscheiden sie
ganz alleine. Der Software-Gigant hat nicht nur bereits
1998 die „Vertrauensarbeitszeit“ eingeführt, sondern
2014 auch den „Vertrauensarbeitsort“. Im Klartext: Per
Bertriebsvereinbarung überlässt es der Arbeitgeber den
Angestellten, wo und wann sie arbeiten. Der Effekt: 90
Prozent der Mitarbeiter arbeiten flexibel. Trotzdem unter-
schrieb Microsoft einen Mietvertrag über fünfzehn Jahre
für ein von GSP Architekten geplantes neues Bürogebäude
in München, in dem bis zu 1800 Mitarbeiter untergebracht
werden können.
Work-Life-Flow
Work-Life-Balance war gestern. Im neuen Gebäude soll
die Vision des Work-Life-Flow Realität werden. Dabei gibt
es keine starre Aufteilung in Arbeit und Privatleben mehr.
Der Angestellte bestimmt nun selbst, wann Arbeit sein
soll und wann Privatleben – inklusive der Übergänge und
der Überlagerungen. Mobile Kommunikationsformen und
soziale Netzwerke machen die Selbstorganisation ganzer
Abteilungen möglich – und alle haben etwas davon. Die
Arbeitgeber sparen teure Büroflächen, und die Mitarbeiter
gewinnen an Selbstbestimmtheit. Architektonisch hat
diese Revolution auf den ersten Blick kaum Auswirkungen.
Microsoft zog zwar aus dem Münchner Speckgürtel in die
Parkstadt Schwabing. Doch ein Bürogebäude bleibt immer
noch zuerst einmal ein Bürogebäude. „Business Space
as usual“ also? Ja – solange es um den reinen Hochbau
geht. Denn die Architektur solcher Projekte kann sich nicht
allein an den Arbeitsvisionen eines Erstmieters orientieren.
Sie muss flexibel auch auf Anforderungen verschiedenster
Nutzer reagieren können. Die gestaffelten Büroriegel grup-
pieren sich nun um drei Innenhöfe, bieten Terrassen und die
Leichtigkeit eines Campus. Es gibt Empfang und Restaurant,
Poststelle, Meetingräume, „Social Hubs“ und natürlich
die Räume für die Drucker. Die Revolution findet in der
Innenarchitektur statt.
Nonterritorialer Open Space
Zellenbüros sind durch ein nonterritoriales Open-
Space-Konzept ersetzt. Wer konzentriert arbeiten will,
der findet noch einen Schreibtisch mit Schall- und
Sichtschutzelementen. Microsoft geht davon aus, dass
die allermeisten Aufgaben nicht mehr alleine im stillen
Kämmerlein gelöst werden, sondern in Teams, die sich
womöglich täglich neu und vor allem über Abteilungs- und
Hierarchiegrenzen hinweg formieren. Entsprechend flexi-
bel können die Möbel hin- und hergeschoben werden. Die
Atmosphäre gleicht eher einer Hotel-Lounge als einem tradi-
tionellen Bürogebäude. Kein Wunder, die selbstbestimmten
Angestellten fühlen sich hier ja auch eher als gelegentliche
Gäste.
Old Economy
Dass Microsoft eigentlich schon wieder zur oft geschmähten
„old economy“ zählt, ist auch nicht zu übersehen. In den
neuen Internetunternehmen wie AIRBnB oder Uber arbeiten
junge Hochschulabsolventen in „Playground-Büros“, die
sich kaum von Wohngemeinschaften oder Studentenkneipen
unterscheiden. Microsoft ist als Unternehmen deutlich
älter, erwachsener, und auch die Münchner Microsoft-
Angestellten sind in ihrer Lebensplanung schon einen Schritt
weiter. Und dies sieht man glücklicherweise auch ihren
Arbeitsplätzen an.