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Foto: Christina Dragoi, Stuttgart, DE
ist eine Huldigung an die imperiale Macht dieses tami-
lischen Reiches. Deren früher Dravida-Stil war anfangs
geprägt von monolithisch aus Granitfelsen gehauenen
Tempeln. Später wurde der Vimana zum zentralen Element
jedes Tempels. Ein pyramidenförmiger, abgetreppter Turm,
der einen Halbkugelabschluss erhielt. Dieser Vimana
stand symbolisch für den Weltenberg Meru. Nach hin-
duistischer Mythologie ist dies die Heimat der Götter. In
der Blütezeit der Chola nahmen Tempelbezirke aus vielen
Vimanas monumentale Ausmaße an und wurden durch
große Umfassungsmauern zusammengefasst. Baulich
ahmten die frühen Dravida-Monolithtempel zwar schon
Säulen und Gebälke nach – es kam ihnen damals jedoch
keinerlei statische Funktion zu. Sie waren nur aus dem
Fels gehauen, um das Steinvolumen gestalterisch zu glie-
dern. Der hochgradig massive, monolithische Eindruck
blieb jedoch auch noch in den späteren Chola-Bauten
erhalten, als bereits echte Stützen, Balken und Gewölbe
verwendet wurden.
Ein Steingebirge
Wer sich dem Hotel Gran Chola des indischen Büros
CRN als Gast nähert, der bringt dem Gebäude unwillkür-
lich Respekt entgegen. Es ist nicht allein die Größe des
600-Zimmer-Hauses, die Eindruck macht. Die Auffahrt
zwingt den Gast einmal um das komplette Gebäude herum,
die Dimension wird bewusst inszeniert. Die pyramiden-
artigen Vimanas der vorbildhaften Chola sind im Hotel
zwar kaum zu erkennen, doch das Steingebirge türmt sich
eindrucksvoll vor dem Besucher auf. In den öffentlichen
Bereichen des Hotels geht dann gleich zu Beginn jede
Dimension verloren, weil ein gewaltiges Treppenhaus
sinnbildlich für den Anspruch des Hotels und womög-
lich des neuen Indien steht. Hätte Rumäniens Herrscher
Ceausescu diese Treppe gesehen, er hätte seinen Palast
in Bukarest noch einmal umplanen lassen. Vor allem
aber wirkt die extreme Verwendung von Naturstein so,
als sei das Innere des Gebäudes wie die frühen Tempel
der Chola in eine örtliche Felsformation geschlagen.
Autor: Dr.-Ing. Dietmar Danner
ist ausgebildeter Tageszeitungsredakteur, studierte Architektur und
promovierte mit einer Arbeit über Geschmacksbildungsprozesse in
der Architektur. 25 Jahre arbeitete er als Redakteur bei verschiede-
nen Design- und Architekturzeitschriften – einen Großteil davon als
Chefredakteur / Verlagsleiter von AIT und xia. Konferenzen und Workshops
führten ihn immer wieder auch nach Indien. 2013 verabschiedete er
sich in die Selbstständigkeit, gründete mit Architect’s Mind eine eigene
Kommunikationsagentur, veranstaltet weltweit Kongresse und Workshops
und publiziert erfolgreiche Architektur-Fachzeitschriften.
www.architectsmind.deDieses Ziel wurde so konsequent verfolgt, dass sogar
die Brandschutztüren inklusive der Schließautomaten
mit einer Trompe-l’oeil-Malerei in Natursteinoptik
überzogen sind. Während das Hotel am Steinplatz des
Kunsttheoretikers, Architekten und Designers August
Endell ein Beispiel des Berliner Jugendstils ist (Endell ist
auch für den ersten der Hackeschen Höfe verantwortlich),
schwebt das Gran Chola in einem luftleeren historischen
Raum von wenigstens 700 Jahren.
Neohistorismus
Das Hotel am Steinplatz ist ein restauriertes und funk-
tional weiterentwickeltes Baudenkmal. Es ist Teil eines
nicht wesentlich unterbrochenen Geschichtskontinuums.
Das Gran Chola hingegen greift auf eine längst vergan-
gene Epoche in Südindiens Geschichte zurück und stülpt
der Funktionseinheit Hotel einen Formenkanon über, der
eigentlich Sakralbauten vorbehalten war. Dieser neohisto-
ristische Architekturansatz ist Resultat blanker Not. Denn
die bestenfalls zur Verfügung stehenden architektonischen
Anknüpfungspunkte der Region entstammen den Zeiten
kolonialer Fremdherrschaft von Portugiesen und vor allem
Briten – oder eines banalisierten „International Style“.
So etwas wie kritischer Regionalismus hat sich in Indiens
Architektur bislang kaum herausgebildet, und angesichts
des enormen Wachstumstempos hat er auch wenige
Chancen. Der Rückgriff auf die alte Glorie des tamilischen
Reichs der Chola ist deshalb zumindest verständlich.
Unterschiedliche Resultate
Dennoch bleibt verblüffend, wie in Berlin und in Chennai
aus denselben Gründen der Genius Loci bemüht wurde
und völlig andere Resultate zustande kamen: In Berlin ist
das Hotel am Steinplatz durchaus eingewoben in den rea-
len städtischen Kontext. In Chennai findet sich der Gast
des Gran Chola in einer neu erschaffenen Raumblase,
die nichts mit der Realität des Ortes zu tun hat – aber viel
mit dem neuen Anspruch Indiens als große und selbstbe-
wusste Nation.