Background Image
Table of Contents Table of Contents
Previous Page  17 / 44 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 17 / 44 Next Page
Page Background

17

PORTAL

34

Foto: Christina Dragoi, Stuttgart, DE

ist eine Huldigung an die imperiale Macht dieses tami-

lischen Reiches. Deren früher Dravida-Stil war anfangs

geprägt von monolithisch aus Granitfelsen gehauenen

Tempeln. Später wurde der Vimana zum zentralen Element

jedes Tempels. Ein pyramidenförmiger, abgetreppter Turm,

der einen Halbkugelabschluss erhielt. Dieser Vimana

stand symbolisch für den Weltenberg Meru. Nach hin-

duistischer Mythologie ist dies die Heimat der Götter. In

der Blütezeit der Chola nahmen Tempelbezirke aus vielen

Vimanas monumentale Ausmaße an und wurden durch

große Umfassungsmauern zusammengefasst. Baulich

ahmten die frühen Dravida-Monolithtempel zwar schon

Säulen und Gebälke nach – es kam ihnen damals jedoch

keinerlei statische Funktion zu. Sie waren nur aus dem

Fels gehauen, um das Steinvolumen gestalterisch zu glie-

dern. Der hochgradig massive, monolithische Eindruck

blieb jedoch auch noch in den späteren Chola-Bauten

erhalten, als bereits echte Stützen, Balken und Gewölbe

verwendet wurden.

Ein Steingebirge

Wer sich dem Hotel Gran Chola des indischen Büros

CRN als Gast nähert, der bringt dem Gebäude unwillkür-

lich Respekt entgegen. Es ist nicht allein die Größe des

600-Zimmer-Hauses, die Eindruck macht. Die Auffahrt

zwingt den Gast einmal um das komplette Gebäude herum,

die Dimension wird bewusst inszeniert. Die pyramiden-

artigen Vimanas der vorbildhaften Chola sind im Hotel

zwar kaum zu erkennen, doch das Steingebirge türmt sich

eindrucksvoll vor dem Besucher auf. In den öffentlichen

Bereichen des Hotels geht dann gleich zu Beginn jede

Dimension verloren, weil ein gewaltiges Treppenhaus

sinnbildlich für den Anspruch des Hotels und womög-

lich des neuen Indien steht. Hätte Rumäniens Herrscher

Ceausescu diese Treppe gesehen, er hätte seinen Palast

in Bukarest noch einmal umplanen lassen. Vor allem

aber wirkt die extreme Verwendung von Naturstein so,

als sei das Innere des Gebäudes wie die frühen Tempel

der Chola in eine örtliche Felsformation geschlagen.

Autor: Dr.-Ing. Dietmar Danner

ist ausgebildeter Tageszeitungsredakteur, studierte Architektur und

promovierte mit einer Arbeit über Geschmacksbildungsprozesse in

der Architektur. 25 Jahre arbeitete er als Redakteur bei verschiede-

nen Design- und Architekturzeitschriften – einen Großteil davon als

Chefredakteur / Verlagsleiter von AIT und xia. Konferenzen und Workshops

führten ihn immer wieder auch nach Indien. 2013 verabschiedete er

sich in die Selbstständigkeit, gründete mit Architect’s Mind eine eigene

Kommunikationsagentur, veranstaltet weltweit Kongresse und Workshops

und publiziert erfolgreiche Architektur-Fachzeitschriften.

www.architectsmind.de

Dieses Ziel wurde so konsequent verfolgt, dass sogar

die Brandschutztüren inklusive der Schließautomaten

mit einer Trompe-l’oeil-Malerei in Natursteinoptik

überzogen sind. Während das Hotel am Steinplatz des

Kunsttheoretikers, Architekten und Designers August

Endell ein Beispiel des Berliner Jugendstils ist (Endell ist

auch für den ersten der Hackeschen Höfe verantwortlich),

schwebt das Gran Chola in einem luftleeren historischen

Raum von wenigstens 700 Jahren.

Neohistorismus

Das Hotel am Steinplatz ist ein restauriertes und funk-

tional weiterentwickeltes Baudenkmal. Es ist Teil eines

nicht wesentlich unterbrochenen Geschichtskontinuums.

Das Gran Chola hingegen greift auf eine längst vergan-

gene Epoche in Südindiens Geschichte zurück und stülpt

der Funktionseinheit Hotel einen Formenkanon über, der

eigentlich Sakralbauten vorbehalten war. Dieser neohisto-

ristische Architekturansatz ist Resultat blanker Not. Denn

die bestenfalls zur Verfügung stehenden architektonischen

Anknüpfungspunkte der Region entstammen den Zeiten

kolonialer Fremdherrschaft von Portugiesen und vor allem

Briten – oder eines banalisierten „International Style“.

So etwas wie kritischer Regionalismus hat sich in Indiens

Architektur bislang kaum herausgebildet, und angesichts

des enormen Wachstumstempos hat er auch wenige

Chancen. Der Rückgriff auf die alte Glorie des tamilischen

Reichs der Chola ist deshalb zumindest verständlich.

Unterschiedliche Resultate

Dennoch bleibt verblüffend, wie in Berlin und in Chennai

aus denselben Gründen der Genius Loci bemüht wurde

und völlig andere Resultate zustande kamen: In Berlin ist

das Hotel am Steinplatz durchaus eingewoben in den rea-

len städtischen Kontext. In Chennai findet sich der Gast

des Gran Chola in einer neu erschaffenen Raumblase,

die nichts mit der Realität des Ortes zu tun hat – aber viel

mit dem neuen Anspruch Indiens als große und selbstbe-

wusste Nation.