9
PORTAL
35
Foto: con-fuss, Frankfurt, DE / Aktion Mensch
benutzen. Die meisten Lösungen, die derzeit noch immer
entworfen werden, machen mich (und alle anderen, die
nicht dem Durchschnitt entsprechen) zum Sonderfall. Eine
kleine Rundfahrt durch meine Heimatstadt Frankfurt zeigt
sehr schnell den Unterschied zwischen wirklich gleichbe
rechtigtem Bauen und jenen Gebäuden, die bestenfalls die
behördlichen Erwartungen erfüllen. Es gelingt mühelos der
Beweis, dass herausragende Architektur gleichberechtigt
sein kann und andere herausragende Architektur es eben
nicht ist. Von außen ist Richard Meiers Museum nicht nur
eine Ikone der Neomoderne. Es sieht auch so aus, als wäre
es für alle gleichberechtigt zu benutzen. Dennoch beginnen
die Unterschiede schon beim Eingang. Wieso eine Drehtür?
Für mich ist sie unüberwindlich. Die alternativ angebotenen
und nach außen öffnenden Türflügel sind auch nicht optimal.
Sie verhindern zudem, dass ich das Haus betreten kann wie
alle anderen auch. Sie machen mich ohne bauliche Not zum
Sonderfall. Nun kann man sagen, dass dieses Gebäude aus
einer Zeit stammt, in der das Bewusstsein der notwendigen
Barrierefreiheit noch nicht thematisiert wurde. Jedoch sind
solche Lösungen heute noch Standard.
DIN-NORM
Ich stelle immer wieder fest, dass Barrierefreiheit mit
schwellenlosem Zugang, Aufzug und Behinderten-WC als
erfüllt gilt. In vielen Architekturwettbewerben, an denen
ich als Beraterin teilgenommen habe, wurden ausschließ
lich solche Konzeptvorschläge angeboten. Die Rampen
sind prägend für den Entwurf Meiers – und sie lassen die
Hoffnung aufkommen, dass jeder Besucher das Museum
unbeschwert auf dieselbe Weise betreten kann. Aber: Die
Steigung der Rampen ist zu steil. Selbst für einen aktiven
Rollstuhlfahrer ist der Kraftaufwand zu hoch. Was bleibt,
ist der Aufzug. Er macht das Haus letztlich zwar barriere
frei. Doch er sondert mich zugleich als Rollstuhlfahrer aus,
denn ich werde in ein Erschließungssystem gezwungen,
das außer mir niemand benutzt. „Die Fußgänger bitte
links, die Behinderten bitte nach rechts“ – die Selektion
geschieht hier noch äußerst diskret. Nun kann man nicht
Autorin: Dipl.-Ing. Ursula Fuss
wurde 1959 in Frankfurt am Main geboren. Von 1981 bis 1985 studierte
sie an der Fachhochschule Wiesbaden Architektur. Gleich nach ihrem
Diplom wechselte sie für ein weiteres Architekturstudium an die Staatliche
Hochschule für Bildende Künste nach Frankfurt. Seit einem Unfall 1993
ist sie querschnittsgelähmt. Fortan spielt barrierefreies Planen eine
bestimmende Rolle – sowohl in Lehraufträgen als auch in ihrem 1996
gegründeten eigenen Büro c.f. ARCHITEKTEN. Neben der Arbeit an eige
nen Projekten berät Ursula Fuss auch Architekten und Bauherren in ihren
Planungsprozessen.
www.con-fuss.debehaupten, dass die Deutschen nicht hilfsbereit wären,
und ganz besonders die Angestellten des Museums für
Kunsthandwerk. Ein kurzes Verharren vor einer Tür, ein nur
angedeutetes Zögern vor einer Stufe – und blitzartig kom
men aus allen Ecken hilfsbereite Menschen mit besorgten
Mienen, die mich dadurch zu etwas Besonderem machen.
Hier wird die Wahrnehmung wieder negativ – bei mir und
bei den anderen Besuchern.
Ungezwungen
Ein weiteres Beispiel ist die Frankfurter Zeilgalerie von Prof.
Rüdiger Kramm. Die Idee, die Marktstraße im achtgeschos
sigen Gebäude weiterzuführen, führte zu einer ungewöhn
lichen Erschließung aller Ebenen über eine Rampe. Man
kann über den Aufzug oder die Rampe nach oben gelangen.
Hinauf benutzen alle den Aufzug, hinunter die Rampe.
Rollstuhlfahrer haben hier einen klaren Vorteil: Für sie ist
die Zeilgalerie dasselbe wie eine Halfpipe für den Skater.
Von ganz oben nach ganz unten wird immer der gewinnen,
der die Rollen hat – nicht der Fußgänger. Die Zeilgalerie ist
auf völlig ungezwungene und selbstverständliche Weise
nutzbar für alle Besucher. Ihre architektonische Qualität
ist nicht wegen der Barrierefreiheit entstanden, sondern
sie war eine architektonische Erschließungskonzeption.
Sie ist einfach integral. Sie beweist, dass gleichberech
tigtes Bauen und herausragende Architektur möglich
sind. Wir als Architekten sind gefordert, uns mit der sich
ändernden Mobilität der Nutzer intensiv auseinanderzu
setzen. Wir müssen Erschließungskonzepte entwickeln,
die Raum erlebbar machen und allen eine spannende und
motivierende Erfahrung geben. Kommunikation muss ent
stehen können und muss gefördert werden. Die diversen
Richtlinien und Normen können nur einen kleinen Input
geben. Die Umsetzung muss in der architektonischen
Konzeption gesucht werden. Das ist viel Arbeit. Aber es
lohnt sich, wenn durch „neue“ Architekturelemente wie
Rampen oder schräge Flächen das langweilige Einerlei der
Architektur durchbrochen und eine Begegnung aller Nutzer
auf Augenhöhe ermöglicht wird.